Edna Bonhomme and Nnenna Onuoha: Rituals (2020)

'Rituals' ist ein zwanzigminütiger Dokumentarfilm und eine zwölfteilige Fotoserie, die die Care-Praktiken von drei Schwarzen Berliner*innen dokumentiert; Caritia - BDSM-Praktizierende, Domina und Sexarbeiterin, Lee - Gender-Terrorist*in, Yoga-Lehrer*in und Goitseone - pessimistische Hexe. In der Videoarbeit, in der sie ihre jeweiligen Erfahrungen als Schwarze Körper im deutschen Gesundheitssystem beschreiben, zeigen Lee, Caritia und Goitseone auch einige der Wege auf, mit denen sie Heilung für sich selbst und für andere außerhalb dieses Systems finden.

Photo/Film Still, Rituals (2020), Nnenna Onuoha

Link zum Film

Regie: Edna Bonhomme und Nnenna Onuoha
Szenografie: Nnenna Onuoha
Sound: Edna Bonhomme und Nnenna Onuoha
Schnitt: Nnenna Onuoha

3 Fragen an Edna Bonhomme und Nnenna Onuoha

Der Film wurde vor der Pandemie gedreht: Wie würde er aus heutiger Sicht aussehen? Welche besondere Bedeutung hat radikale (Selbst-)Fürsorge, insbesondere in Bezug auf Schwarze Körper in Zeiten von COVID-19, und auf welche spezifische Weise sind Fürsorge, Geschlecht und Race in Zeiten der Pandemie miteinander verflochten? 

Nnenna Onuoha: Als ich diesen Film vor einem Jahr machte, wollte hervorheben, wie sehr die Rituale der Schwarzen Berliner*innen, mit denen wir sprachen, in der Gemeinschaft und im Schaffen von Raum füreinander verwurzelt waren. Alle Beteiligten machen Care-Arbeit nicht nur für sich, sondern auch für andere: Lee unterrichtete Yogakurse, Caritia leitete Shibari-Workshops und Goitsy praktizierte das Lichtbringen. Angesichts der unverhältnismäßigen Belastung, die die Pandemie für Schwarze Menschen und People of Colour bedeutet, sowie der schrecklichen Polizeigewalt, die uns veranlasst hat, uns durch Proteste wie BLM und #ENDSARS zu versammeln, sind solche Räume der Heilung so notwendig wie eh und je. Gleichzeitig hat das Bedürfnis nach sozialer Distanz die Art und Weise, wie wir zusammenkommen können, tiefgreifend verändert. Im vergangenen Jahr haben einige von uns blühende Online-Räume gefunden und gegründet, während andere wiederum auch eine tiefe Einsamkeit und Isolation erlebt haben.

Edna Bonhomme: Letztes Jahr begannen sich plötzlich alle wieder für die Biologie zu interessieren. Plötzlich gehörten mRNA, Genome und Viren zum Alltagsvokabular. Für die Neugierigen war das Verständnis, wie sich Krankheiten ausbreiten und welche Bedingungen bestimmte Menschen dafür anfällig machen, ein großes Thema. All dies geschah im Zuge einer globalen Pandemie und der Präsenz des neuartigen Coronavirus. Der Tod von Schwarzen, indigenen und anderen People of Color wurde durch die Covid-19-Pandemie beschleunigt und intensiviert und spiegelte die Hierarchien wider, die bereits vorher bestanden. Aber diese Ereignisse sind nicht nur in den USA zu beobachten. Rassismus ist global und das Gespenst des Schmerzes hat viele Menschen erschöpft zurückgelassen. Nichtsdestotrotz findet man Fürsorge durch Gemeinschaft, durch Selbsterhaltung und Freude, selbst wenn eine Gemeinschaft den Schrecken struktureller Gewalt ausgesetzt sein mag. Schwarze feministische Theoretiker*innen haben unabhängig voneinander ihre Bücher veröffentlicht, um die Notwendigkeit zu betonen, den Kapitalismus herauszufordern. In der Aufsatzsammlung Lessons from the Damned (1973) bestanden die Autor*innen in dem Aufsatz „The Revolt of Poor Black Women“ darauf, dass eine echte Revolution den Sturz des Kapitalismus, die Beseitigung der männlichen Vorherrschaft und die Transformation des Selbst erfordert. Eine Revolution, so argumentierten sie, sollte einen brandneuen Anfang einleiten; sie wird von der Kraft der befreiten Vorstellungskraft angetrieben, nicht von der toten Last der Vergangenheit.

Was bedeutet radikale (Selbst-)Fürsorge in diesem Zusammenhang?

Edna Bonhomme: Es gibt einen radikalen Widerstand; die Menschen reagieren auf die Veränderungen in der Gesellschaft durch einen kollektiven Kampf auf der Straße, durch kreativen Ausdruck und vor allem durch Fürsorge. Und für einen seltenen Moment war dieser kollektive Akt des Widerstands auf der Bühne präsent. Eine Art, wie sich meine Praxis verändert hat, ist, dass ich versuche, einen Fahrplan zur Heilung zu finden, ein Beharren auf Ungehorsam und den Wunsch nach Veränderung.

Wie hat Corona eure Arbeitsweise, aber auch euren thematischen Fokus verändert?

Edna Bonhomme: In dem Film „A Place of Rage“ stellt die afroamerikanische Dichterin June Jordan fest, dass „die Unantastbarkeit des Rechts eines Individuums, zu lieben, wen ich will“, notwendigerweise „dasselbe Thema“ ist wie das, für das die antirassistischen Aktivist*innen eintreten. Sie erinnert uns daran, dass rassistische Gewalt und Homophobie angesichts der verschiedenen Formen der Entrechtung, die in der Welt vorkommen, auf demselben unterdrückerischen Kontinuum existieren. Versionen von Jordans Meditation versuche ich in meine Praxis einzubauen, die auf Neugier, Experimentieren und Heilung basiert. Kreative Produktion und Kuration sehen heute anders aus als im Jahr 2019 – vor der neuen Coronavirus-Pandemie. Im Zeitalter von Covid-19 sind interdisziplinäre Künstler*innen mit einigen gesundheitlichen, politischen und sozialen Herausforderungen konfrontiert, die wiederum Fragen darüber aufgeworfen haben, wie die Gesellschaft organisiert ist, wer Zugang zu Räumen hat und welche Geschichten erzählt werden.

 

Nnenna Onuoha ist eine ghanaisch-nigerianische Filmemacherin, digitale Historikerin und visuelle Anthropologin mit Sitz in Berlin. Ihre aktuellen Forschungen und audiovisuellen Arbeiten stellen afrodiasporische Perspektiven in den Mittelpunkt und konzentrieren sich darauf, wie koloniale Vergangenheiten in der Gegenwart neu verhandelt werden. Nnenna ist derzeit Doktorandin in Anthropologie mit Medien an der Harvard University. www.carmah.berlin/people/nnenna_onuoha

Edna Bonhomme ist Wissenschaftshistorikerin, Autorin und interdisziplinäre Künstlerin. In ihrer Arbeit mit Ton, Text und Archiven erforscht Edna Infektionen, Epidemien und Toxizität durch dekoloniale Praktiken und die Weltgestaltung der afrikanischen Diaspora. Edna hat einen Abschluss in Biologie vom Reed College (BA), einen Master of Public Health von der Columbia University (MPH) und einen Doktortitel in Geschichte von der Princeton University. Edna nutzt vor allem Textarchive und mündliche Erzählungen, um die unterschiedlichen Vorstellungen von Krankheit und Gesundheit zu entschlüsseln. Ihre künstlerische Sprache verbindet wissenschaftliche Studien mit traditionellen Heilelementen. Eine zentrale Frage ihrer Arbeit lautet: Was macht Menschen krank?  Als Forscherin beantwortet sie diese Frage, indem sie Räume der Toxizität erforscht und dabei auch berücksichtigt, wie unterdrückte Menschen Modalitäten der Pflege finden, die die Möglichkeit der Reparatur gestalten. Einige ihrer kritischen Multimedia-Projekte wurden im Haus Kulturen der Welt (Berlin), in der alpha nova & galerie futura (Berlin) und in der Österreichischen Akademie der Künste gezeigt. Derzeit ist sie Postdoctoral Fellow am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte. Sie hat für Aljazeera, The Baffler, The Nation, Africa is a Country, Jacobin Magazine und andere Publikationen geschrieben. www.ednabonhomme.com

 

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