Ulrike Markert, Beate Rothensee: GEHEIMNIS

Ulrike Markert, Beate Rothensee

Ausstellung

Ausstellungsflyer, alpha nova & galerie futura, 2011

Ausstellung

13.11.-16.12.2011 //
Di-Fr 15:00-18:00

Eröffnung

12.11.2011 // 17:00

Südwestpassagekultour

Kultour-Rundgang in Friedenau //
19.11.2011 // 16:00-22:00 und 20.11.2011 // 13:00-19:00

Bilder

Bilder Eröffnung & Ausstellung

 

Fotos: Uta Koch-Götze

Wandarbeiten – Objekte – Skulpturen – Video

GEHEIMNIS heißt der Titel dieser Doppelausstellung mit Arbeiten der Künstlerinnen Beate Rothensee und Ulrike Markert.

GEHEIMNIS gehört als thematische Ausrichtung einer Kunstausstellung selbstverständlich zu den genuinen Fragestellungen der Kunst, die sich niemals mit dem Abbildcharakter zufrieden geben wird, sondern die aufdeckenden Dimensionen von Wahrnehmung mit hinzu denkt. Diese Ausstellung setzt zwei Künstlerinnen in den Dialog mit  Arbeiten, die auf den ersten Blick kaum unterschiedlicher sein könnten – die streng konstruierten Wandarbeiten von Beate Rothensee in schwarz/ weiß und die figurativen Skulpturen in ihrer sanft – harmonischen Farbigkeit von Ulrike Markert.

Die Konzeptkünstlerin Beate Rothensee hat eine ihrer frühen Werkserien unter dem Titel Geometrie und Geheimnis entwickelt. Diese Ausstellung zeigt eine Auswahl daraus, ergänzt durch Arbeiten der Serie Gott, Tod und die Preisliste.

Beispielhaft für das Konzept der Serie Geometrie und Geheimnis steht das große Wandobjekt Der goldene Schnitt, eine Papierarbeit in schwarz/weiß, die die Faszination der Künstlerin für das klassische Ideal von Harmonie und zeitloser Schönheit in das Kunstwerk übersetzt.
Seit der Klassik über die Renaissance bis heute gelten die Strukturgesetze des goldenen Schnitts, ihre Maße und Proportionen sowohl in der Malerei, der Plastik, der Musik oder Architektur als Inbegriff von Schönheit mit der Aura des Mysteriums. Die Maßverhältnisse liegen entschlüsselt vor uns, ohne dass das Geheimnis ihrer Wirkung an Bewunderung verliert. Diese konzeptionelle Idee zieht die Künstlerin seit langem in ihren Bann und hat eine Fülle von Arbeiten in diesem Kontext entstehen lassen.
Als Material legt Beate Rothensee Papier, jenen Werkstoff der Vergänglichkeit, zugrunde, den sie in Schichten übereinander legt und in früheren Arbeiten auf Leinwand, später auf Holzuntergründe appliziert – anfangs mit – später ohne malerische Akzente.
In ihrer Entscheidung für die Dualität der Farben schwarz und weiß gibt sie einen Hinweis auf den existentiellen Erfahrungsraum, in die sie ihre Arbeiten einordnet. Denn erst im Spannungsfeld der Gegensätze von Hell und Dunkel, Licht und Schatten, Vordergründigem und Tiefe offenbart sich jener Spiegel kosmischer Existenz, die Leben und Tod zueinander in Balance setzt. Dieses duale Spiel der Kräfte findet sich in den einzelnen Arbeiten vor allem durch den Umgang mit dem Material Papier übersetzt.
Die Schichtungen werden aufgerissen, Verletzungen entstehen, lassen Einblicke in tiefere Ebenen zu, zeigen Brüche, Bruchränder und haptische Verwerfungen des Materials. Gerade in diesem bedingungslosen Umgang mit dem vergänglichen Werkstoff Papier, seiner Unterwerfung unter die diametralen Strukturgesetze von Horizontalen und Vertikalen, gelingt der Künstlerin eine ästhetische Manifestation von Dasein in seiner dualen Spannung zwischen Profanem und Sakralem.
Diese Arbeiten überzeugen durch ihre zeitlose Präsenz und ihre leidenschaftliche Suche nach einem tragfähigen Grund für menschliche Existenz, die die Widersprüche, Verwerfungen und Verletzungen bewusst in das große Ganze, das ewige Geheimnis des Lebens, mit einschließt.

Die zweite Werkserie, die Beate Rothensee in dieser Ausstellung zeigt, trägt den Titel: Gott, Tod und die Preisliste – aus dem Künstlerleben. In ironischer Brechung nimmt er Bezug auf Albrecht Dürers  Kupferstich Melencholia Ritter, Tod und Teufel – aus dem Marienleben. Dieser direkte Bezug auf eines der berühmtesten Meisterwerke dieses Künstlers stellt eine innere Seelenverwandtschaft her.
Auch Dürer verwendet in seiner Arbeit formal das Prinzip des goldenen Schnitts. Er umkreist in diesem rätselhaften Werk thematisch den Entwurf künstlerischen Lebens in seinen realen und metaphysischen Wesensanteilen und entfaltet in seiner komplexen Ikonographie und Symbolik eine geheimnisvolle Magie.
Beate Rothensees Werkauswahl überträgt diese Thematik auf die Standortbestimmung der Künstlerin in heutiger Zeit, indem sie anhand der Computertechnik, ihrer Fehlfunktionen und Anwendungsfehler Collagen und Montagen entwirft, die Druckfragmente von Alltagstexten, Preislisten, Bewerbungen usw. mit poetischen Textpassagen, metaphysischen Fragen nach Gott, Leben und Tod in Beziehung zueinander setzt. Aus diesem spielerischen Ansatz entstehen bedeutungsvolle Einzelkunstwerke als ausgesuchte Kostbarkeiten von ästhetischer Formvollendung. Wir begegnen auch hier der Suchenden auf dem Weg der existentiellen Frage nach dem Woher und Wohin, dem ewigen GEHEIMNIS.

Wenden wir uns nun der zweiten Künstlerin dieser Ausstellung – Ulrike Markert – zu.
Auch in ihren Skulpturen geht es um den künstlerischen Spiegel – hier mit dem besonderen Akzent auf die weibliche Existenz. Die Auswahl für diese Ausstellung umfasst dabei im Wesentlichen drei Werkgruppen: die Bodeninstallation Am Grunde…, die Skulpturen Lebenswichtige Organe und die Videoarbeit NEIN.
Ulrike Markert arbeitet mit dem Werkstoff  Terrakotta – auch dies wie Papier ein organisches Material, ein geradezu archaischer Werkstoff, der seit Beginn der Menschheitsgeschichte als Material für Alltags- und Kulturgerätschaften verwandt wurde. Für die Bodeninstallation Am Grunde und ihre thematische Ausrichtung bietet sich dieses Material als ideal an.
Denn diese in Grautönen gehaltene Installation mit ihren organischen Objekten, ihrer rätselhaften Anmutung von kostbaren Opfergaben oder weiblich-männlichen Sexualorganen  und den fragmentarisch – weiblichen Körpern weckt Assoziationen zu einer archäologischen Grabungsstätte.
Symbolisch begegnen wir einem Fundort für Weiblichkeit in seiner ausgebreiteten Symbolik von Sexualität und Fruchtbarkeit, changierend zwischen lustvoller Laszivität, brutaler Verstümmelung, existentiellen Verletzungen – geprägt von einer tiefgreifenden Melancholie, die die Gesichtszüge und Körper in ihrer Tragik verstümmelter Weiblichkeit ausstrahlen.
Das Fest der Sinnlichkeit, die fraglose Freude an weiblicher Identität wird überschattet vom Ausdruck Jahrhunderte gewachsener Erfahrung von abgesprochener Menschwürde und gesellschaftlicher Schattenexistenz.
Dieser Thematik verwandt, begegnen uns in den Frauenbüsten mit lebenswichtigen Organen drei Frauenporträts, die zwar auch den Hauch von Melancholie atmen, darüber hinaus aber ein Bild von Weiblichkeit verkörpern, das in seiner Anmutung von Schönheit und Würde bezaubert. In milde harmonische Farben getaucht , vermitteln sie ein Ideal von Weiblichkeit, von Jugend, innerer Klarheit, von vitaler Energie und einer in sich ruhenden Bewusstheit für das eigene Personsein.  Sie strahlen damit jene Schönheit aus, die die körperlich – seelische Balance in sich gefunden hat.
Gleichzeitig sind sie Trägerinnen Lebenswichtiger Organe, wie der zugehörige Titel zu diesen Porträtbüsten lautet. Hier beginnt das Rätsel, das die Künstlerin diesen Skulpturen mit ihren organisch wuchernden Objekten auf den Weg in die Welt mitgegeben hat.
Wo liegt die Bedeutung für diese reichverzierten rosafarbigen Organgebilde, die die Frauen wie Afrikanerinnen die schweren Wasserkrüge würdevoll auf ihren Köpfen balancieren? Was präsentieren diese Frauen dem Betrachter in ihren Händen: Opfergaben, Organspenden, Votivgaben oder ist jene symbolische Ebene von Transformation gemeint, die lustvolle Wünsche oder seelische Verletzungen inszeniert?
Unwillkürlich erinnert diese artifiziell überbordende  Organsymbolik an die Selbstinszenierungen der Malerin Frida Kahlo, an ihre sexuell erotische Wunschkraft, ihre Selbstentblößung, ihre Wunden und seelischen Verletzungen. Im Gegenzug dazu steht ja gerade diese Künstlerin für ihren unbedingten Willen zu leiblicher Schönheit, künstlerischem Ausdruck und zur leidenschaftlichen Feier des Lebens in all seinen Fassetten.
Zur vornehmste Aufgabe der Kunst gehört es, Fragen zu stellen, und somit darf diese Frage unbeantwortet bleiben.
Auch die Videoarbeit NEIN führt uns noch einmal zusätzlich in diese Fragehaltung hinein: Thema dieser Arbeit ist es, Frauen Porträts aus unterschiedlichsten Ländern dieser Welt zu erleben, die individuell nur ein Wort formulieren – das Wort NEIN – jede in ihrer Sprache, mit ihrem Ausdruck und ihrem Geheimnis, wozu sie NEIN sagt.
Hier schließt sich der Kreis des Anfangs und wir begegnen noch einmal auf einer neuen Ebene dem übergreifenden Thema Geheimnis – dieses Mal auf der Ebene weiblicher Erfahrung, die es nicht weniger nach der Auflösung des existentiellen Rätsels sinnvollen Daseins, der dualen Schönheit des Lebens in all seiner Fülle, drängt.

Beide Künstlerinnen dieser Ausstellung lenken die zentrierte Aufmerksamkeit in ihrer Kunst auf das rätselhafte Wechselspiel von Innen und Außen als Weg zu wesentlicher Erfahrung.
Dieses Leitmotiv bestimmt insbesondere auch die Kunst der polnischen Gegenwartskünstlerin Magdalena Abakanowicz, jener weltbekannten Bildhauerin, Zeitzeugin und philosophischen Denkerin, in deren Werk sich metaphorisch Inneres und Äußeres bedingen, verstärken und als Essenz für die gültige Aussage wirken.

Darum soll am Ende ein Zitat von Magdalena Abakanovicz stehen:

Alles, was uns umgibt, prägt uns, und indem es uns prägt, prägt es das Werk. Darum glaube ich, wenn wir nur ganz und gar ehrlich mit uns sind, wird das, was wir sagen oder schreiben, jeden anrühren. Es wird andere anrühren, wenn es tief aus unserem Inneren kommt, denn dort beginnt der Kontakt zwischen den Menschen.

Uta Koch-Götze – galerie futura, 2011

www.markert-art.net
www.beate-rothensee.de

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