IM DIALOG – 25 Jahre galerie futura

Karin Christiansen, Annette Domberger, Doris Hinzen-Röhrig, Hella Horstmeier, Monka Sieveking, Silvia Sinha und Begleitprogramm mit Bisseh Akame, Sigrun Casper, Elisabeth Göbel, Friedemann Graef, Monika von Hattingberg, Dr. Gabriele Kämper, Ina Paul, Mario Wirz

Ausstellung, Lesung/Vortrag

Flyer Jubiläumsausstellung, alpha nova & galerie futura, 2011. Fotos: Uta Koch-Götze, Jan Sobottka, Silvia Sinha

Ausstellung

15.5.-14.7.2011 // Di-Fr 15:00-18:00

Eröffnung

14.5.2011 // 17:00

Jubiläumsfest

Festvortrag von Dr. Gabriele Kämper; Lesung mit Sigrun Casper, Elisabeth Göbel, Ina Paul, Mario Wirz; Musik von Bisseh Akame, Friedemann Graef, Monika von Hattingberg
25.6.2011 // 18:00-22:00

Bilder

Bilder Eröffnung & Ausstellung

 

Fotos: Uta Koch-Götze, Jan Sobottka, Silvia Sinha

Ausstellung

 

Künstlerinnen: Karin Christiansen, Annette Domberger, Doris Hinzen-Röhrig, Hella Horstmeier, Monka Sieveking, Silvia Sinha

Kuratiert von Uta Koch-Götze

Malerei – Collagen – Zeichnungen – Fotos – Skulpturen

Wir eröffnen heute mit der Vernissage dieser Ausstellung IM DIALOG die Rückschau auf das 25jährige Bestehen des Kultur- und Kunstprojektes FUTURA in Berlin – seit neun Jahren in Friedenau, davor in Zehlendorf.

1986 – im Jahr von Tschernobyl – gegründet, gehörte es von Beginn an zum Selbstverständnis dieses Projektes, sich in das Zeitgeschehen einzumischen., Stellung zu beziehen und an einem Gesellschaftsentwurf mitzuwirken, der sich signifikant in unserem Vereinsnamen widerspiegelt: alpha nova-kulturwerkstatt & galerie futura  Weibliche Visionen in Kultur, Politik und Kunst.
25 Jahre später – im Jahr von Fukushima – ist die Welt kaum menschenwürdiger geworden, aber das Selbstbild von Frauen hat sich in dieser Zeit trotz vieler Menetekel an der Wand deutlich zu einem Generationenselbstverständnis gewandelt, das die Phase der Selbsterfahrung und weiblichen Nischenpolitik hinter sich gelassen hat.

Der innere Monolog der Selbstbefragung und oft provozierenden Selbstinszenierung hat einem selbstbewussten Dialog mit dem Zeit- und Weltgeschehen den Weg bereitet – jedenfalls möchte meine Generation des Aufbruchs es heute gerne so wahrnehmen, ohne den Anteil eines Wunschdenkens zu verdrängen. Dabei hat sich der Prozess der Interkulturalität und Internationalität von Jahr zu Jahr beschleunigt, so dass ohne internationale Netzwerke kein Engagement in Kunst und Kultur mehr überzeugt.
Im Bereich der Kunst  ist die Diskussion des Anfangs über weibliche Kunst, ihre charakteristischen Themen und Übersetzungsformen, ihre Deutungsmuster, ihren bevorzugten Blick auf Autobiografisches weitgehend verstummt. Geblieben ist ein besonderes Interesse von Künstlerinnen an körper- und prozessorientiertem künstlerischem Ausdruck, vor allem aber ein selbstbewusster Dialog mit den avantgardistischen Zeitströmungen und ihrer künstlerischen Formensprache. Geblieben und gewachsen ist der subversive Impetus, der selbstverständlich für die Wandlungskraft jeder Kunst, wenn sie diesen Namen verdient, steht.

Die galerie futura trägt in ihrer Jubiläumsausstellung diesem Ist-Zustand Rechnung und zeigt sechs ausgewählte Positionen von Künstlerinnen aus dem Umfeld einer langjährigen Zusammenarbeit mit einzelnen Protagonistinnen, die das Galerie-Konzept begleitet und unterstützt haben. Sie stehen dabei beispielhaft für weit über 200 Künstlerinnen, mit denen die galerie futura in den vergangenen Jahren zusammengearbeitet hat. Dabei kommen die sechs Künstlerinnen dieser Ausstellung aus Friedenau, dem Bezirk, in dem die galerie futura seit über neun Jahren ihren Standort hat und ihr Konzept der lokalen wie internationalen Vernetzung verfolgt.

Die aktuelle Ausstellung entwickelt ihren konzeptionellen Ansatz sowohl auf der thematischen Ebene der dialogischen Einmischung in das Zeitgeschehen wie auf der Begegnungsebene der künstlerischen Positionen untereinander.

So bezieht Karin Christiansens sechsteilige Papierarbeit Liebe, Glaube Stellung zum Thema Missbrauch in kirchlichen Institutionen. Diese Arbeit folgt keinem sozialkritischen Realismus, sondern entspricht der subtilen Bildfindung dieser Künstlerin in ihrer Mischung von realen und symbolischen Anteilen wie ihren Seelenstimmungen. Die Thematik reiht sich ein in den Schwerpunkt ihrer bisherigen Werkgruppen Kinderwelten in der Auseinandersetzung mit Kindheit und Familie, ihren traumatischen Prägungen, ihrem Ausgeliefertsein, ihrer Hilflosigkeit und Angst. Die Erfahrung von Kindheit als Entzauberung von Geborgenheit, Schutz und Liebe pervertiert sich in der Serie Kindersoldaten zu existenzieller und unumkehrbarer Zerstörung kindlicher Entwicklung und Personwerdung.
Auch auf den sechs großformatigen Blättern zum Titel: Liebe, Glaube klagt die Künstlerin an – gleichermaßen als Klage und Anklage angelegt – indem sie die Betrachter mit überdimensionalen Porträts von Jungen und Jugendlichen konfrontiert, in denen sich Entsetzen spiegelt, das im Schock des erfahrenen Mißbrauchs erstarrt zu sein scheint. Dieser Missbrauch ist umso verstörender, weil er von der Glaubens-Institution und ihren Vertretern ausgeht, für die das Heilsversprechen von Liebe und Glaube konstituierend ist und deren Glaubwürdigkeit deshalb unwiederbringlich verloren scheint.
Das Ausgeliefertsein an eine Existenz ohne verlässlichen Grund entwirft ein Weltbild voller Irritation und Melancholie, das dem Betrachter in  den dunklen Kreidezeichnungen als düsteres Seelen- und Weltpanorama begegnet.

Den Kontrast zu Dunkelheit und Schwere dieser Arbeiten  setzen die Tusch-Zeichnungen und Collagen von Monika Sieveking.  Diese Künstlerin entwickelt mit hintergründigem Humor ihre Bildergeschichten als Serie mit doppeltem Boden. Sie spielt  mit der Irritierbarkeit des Blicks, indem sie Alltagssequenzen wie Gebrauchsanweisungen des täglichen Umgangs mit  Schachteln, Behältern oder Schwimmwesten mit der Welt von Frauen – jungen wie alten – in Verbindung setzt. Sie entwirft einen ironisch getönten Assoziationsraum, der Gebrauchsanweisungen zu Rollenanweisungen für weibliche Biografien transformiert. Frauen befreien sich aus der Schachtel – der gesellschaftlichen Zuschreibung – fliehen vor diesem Rollengefängnis.
In der Arbeit Nix wie weg scheitern sie bei ihrem hilflosen Versuch, über eine selbstinszenierte wackelige Stuhlpyramide – ein wiederkehrendes Sujet dieser Künstlerin – der Feuergefahr zu entkommen, oder leben in der Illusion, gerettet zu sein, indem sie wie in der Zeichnung  Gerettet eine Schwimmweste anlegen. Seit jeher gehört zu den Themen dieser Künstlerin ihre Vorliebe für die unspektakulären, beiläufigen Alltagsdetails, aus denen sie Zeitströmungen der Gesellschaft herauskristallisiert und mit liebevoller Ironie zuspitzt. Sie bleibt dabei voller Sympathie und hält uns einen subtilen Spiegel vor, der mit scheinbar leichter Hand komplexe Beziehungen und Bezüge und widersprüchliche Aspekte ins Bild setzt. In ihren Zeichnungen scheint der Wandel weiblicher Biografien – ihre Selbst- und Fremddefinitionen – weiterhin äußerst fragil und immer wieder Anlass zur Hinterfragung.

Den farbreduzierten  Werkgruppen von Karin Christiansen und Monika Sieveking antworten die farbgesättigten Objektkästen von Annette Domberger in leuchtendem Rot im hinteren und Blau im vorderen Raumbereich. Diese Werkauswahl steht für den interkulturellen Dialog einer Künstlerin, die aus der Faszination ihrer Vietnamreise künstlerische Übersetzungen findet, denen sie den Titel Glückssträhnen gibt. Sie knüpft mit diesem Titel an die Tradition vietnamesischer Tempel, in denen Gläubige als Dank für und Bitte um Wunscherfüllung Glücksfahnen aufhängen, die sich zu einer Rauminszenierung mit spirituellem Raumklang verdichten. Die Sehnsucht nach einem Glück verheißenden Leben kennt sicher keine kulturellen Grenzen. Aber was versteht eine asiatische, eine europäische Kultur unter Glück.  Der Reiz komplexer fremdartiger Vorstellungswelten inspirierte die Künstlerin zu künstlerischen Überschreibungen des Fremden mit  Eigenem. Asiatische Schriftzeichen und Zahlen werden in einem differenzierten Prozess ihrer unmittelbaren Bedeutungen entkleidet und dekonstruiert. Übrig bleibt  die Begeisterung für eine in den Worten der Künstlerin ungeheuer beeindruckende Kultur, deren Schönheit sie in ihrer Werkserie Glückssträhnen zu einem  leuchtenden Farbklang entwickelt, ohne die eigene Gebrochenheit zum Thema: Glückswunsch- und -verheißung zu verheimlichen.

Wenden wir uns nun dem künstlerischen Dialog der Malerin Doris Hinzen-Röhrig und der Fotografin Silvia Sinha zu. Beide haben sich in ihrer Präsentation auf ein einheitliches Format geeinigt und beide widmen sich  – mit unterschiedlicher Handschrift – einem verwandten Thema. Wir begegnen konstruierten und inszenierten Räumen in Verbindung mit der Rolle des Lichtes – seiner verhüllenden und durchdringenden Gestaltungskraft. Doris Hinzen-Röhrig zeigt eine sechsteilige Arbeit, die sie in vier Teilen übereinander setzt als vertikale Entwicklung atmosphärischer Verschattung der unteren zum langsam aufsteigenden Licht der oberen Arbeit.
Charakteristisch für diese Malerin ist ihr Umgang mit der Fotocollage als Haupttechnik ihrer Malerei, durchsetzt durch zeichnerische Komponenten, die der raum-zeitlichen Bewegung Ausdruck verleihen. Die Stellungnahme zum Raum hat für diese Künstlerin immer mit dem Prozess der Korrespondenzen von Innen und Außen zu tun. Zeitgeschehen und Alltagserfahrungen mischen sich mit Erfahrungen ihrer Lehr- und Wanderjahre in vielen Teilen der Welt und den besonderen Einflüssen aus Asien, denen sie sich verbunden fühlt, zu einem lebensdichten Mosaik – einem individuellen Zeit-Raum. Ihre Imagination schöpft sie aus den Fragmenten von Eigenem und Fremdem und setzt sich seiner transformierenden Wandlung aus. Dabei interessieren sie weniger die Polaritäten etwa von Dunkelheit und Licht als milchig verhangene Stimmungen und diffuse Schattenschleier über einer Lichtquelle, zu der alles hindrängt. Innen- und Außenraum werden bei Doris Hinzen-Röhrig zu einer hochkomplexen Gesamtkomposition, die in ihrer sensiblen Balance fasziniert.

Die Fotos von Silvia Sinha zeigen in ihrer Auswahl ihr bevorzugtes Interesse an architektonischen Raumsituationen. Sie fesselt die Struktur als Vorgabe für eine Raumwirkung, die sich von Moment zu Moment verändern kann je nach fotografischer Entscheidung für den besonderen Augenblick der Bildfindung. Sie liebt dabei die Kontraste von schwarz und weiß, die Dualität von Dunkelheit und Licht genauso wie die Farbigkeit in ihrer Komplementarität. Fotos mit klaren Farbgrenzen stehen Arbeiten gegenüber, deren sanftes Farbspiel geradezu malerische Qualitäten hervorbringt. Dieser Fotografin geht es um die Herausforderung ungewöhnlicher Rauminszenierungen, die sie oft in die Nähe abstrakter Malerei rücken, und deren Wirkung allein auf dem vorgefundenen Seheindruck und der entsprechenden Belichtungstechnik beruht.

Im Zusammenklang der Malerin Doris Hinzen-Röhrig  und der Fotografin Silvia Sinha entsteht ein Panorama von intensiver Nähe und überzeugender Dichte zum Themenspektrum Innen- und Außenraum in seiner Ambivalenz.

Zu den  zeichnerischen und malerischen Arbeiten, zu den Objekten und Fotos setzt diese Ausstellung zusätzliche Akzente mit den Skulpturen von Hella Horstmeier.
Die Auswahl der Skulpturen orientiert sich an der Themenstellung IM  DIALOG und eröffnet eine verblüffende Sicht auf die Vielgestaltigkeit dialogischer Konstellationen. Charakteristisch für das bildhauerische Werk präsentieren sich die Skulpturen in der Verbindung oft unterschiedlicher Materialien wie Holz und Metall oder Granit und Stahl. Diese Materialien stehen bevorzugt in polarer Spannung zueinander sowohl in ihrem Härtegrad wie in ihrer Bearbeitung von polierten Flächen zu naturbelassenen Passagen. Die einzelnen Komponenten fügen sich selten nahtlos aneinander, sondern lassen Raum zwischen sich wie Atemraum, um Lebendigkeit zu gewähren.
Die jüngsten Arbeiten sind hochaufgerichtete filigrane Skulpturen, die wie spitze Holzsplitter, die noch ihre Rinde tragen – verletzend und verletzt zugleich – in den Himmel ragen. Sie sind  als Paare angelegt und gehen eine enge Symbiose von Holz und Bronze ein, wobei die glänzende Metallhaut die Wunden zu schützen scheinen. Befremdlich kostbar und Schutz bedürftig wirken diese Arbeiten, die Titel tragen wie Innere Verletzungen und Gewachsene Verletzungen. Währenddessen steht das Paar Die Roten aufrecht, farbig geschmückt, aufeinander bezogen und doch Raum lassend – selbstbewusst jeder für sich.

Mit diesen Skulpturen eröffnet sich ein thematischer Assoziationsraum, der den Dialog in all seinen Variablen als Beziehungsthema entwickelt  und die Gefährdungen zeigt, die ein Gelingen wie Misslingen gleichermaßen mit einschließt.

Im Zeitraum von 25 Jahren IM DIALOG gehören Erfahrungen von gelingender und misslingender Begegnung selbstverständlich zur Alltagserfahrung. Gerade darum gehört ein experimenteller Ort wie die galerie futura, der sich als Laboratorium für gesellschaftlichen Wandel und Paradigmenwechsel auf allen Ebenen versteht, zu den kostbaren Orten, der im Windschatten der Leuchttürme Raum schafft für vertrauensvolles Miteinander  und Begegnung der Generationen und Kulturen.

Uta Koch-Götze – galerie futura 2011

www.karin-christiansen.de
www.annettedomberger.de
www.dorishinzen-roehrig.com
www.hellahorstmeier.de
www.monika-sieveking.de
www.in-response.de

Ausstellung

15.5.-14.7.2011 // Di-Fr 15:00-18:00

Eröffnung

14.5.2011 // 17:00

Jubiläumsfest

25.6.2011 // 18:00-22:00

Festvortrag von Dr. Gabriele KämperDer trügerische Charme der Avantgarde. Künstlerinnen als Vorreiterinnen von gesellschaftlicher Entwicklung.

Autorinnen und Autoren lesen eigene Texte
Sigrun Casper
Elisabeth Göbel
Ina Paul
Mario Wirz

IM DIALOG mit Musik

Bisseh Akame
Friedemann Graef
Monika von Hattingberg

// nach oben