In der Einzelausstellung Die Hände mit den Füßen fassen erforscht Dana Lorenz, wie sich biografische Erfahrungen, soziale Herkunft und Traumata aktiv in den Körper einschreiben und ihre Spuren hinterlassen. Der Körper wird dabei zu einer eigenständigen und interdependenten Infrastruktur.
Für die raumgreifende Installation, eine Assemblage bestehend aus Objekten, Readymades, Fotografien und einer Soundcollage, die durch ein Künstler*inbuch mit Texten, einem persönlichen Glossar und Bildarchiv erweitert wird, bildet die eigene Biografie der Künstler*in den Ausgangspunkt. Aufgewachsen in einem Arbeiter*innenmilieu im Ost-Berlin der Nachwendezeit, widmet sich Dana Lorenz in dem Werk Erfahrungen von gesellschaftlichem Ausschluss und Teilhabe, in denen Momente zwischen Scham und Widerständigkeit zur individuellen Zerreißprobe werden.
Wie formen gesellschaftliche Ausschlüsse Körper? Wie manifestieren sich Diskriminierungsprozesse in Hinblick auf Klasse und Sexualität sowie daraus resultierende Emotionen und Affekte in Körpern? Wie ist die Wahrnehmung von Körpern von unserer sozialen Position geprägt?
Grundlagen dieser Überlegungen bildet die Auseinandersetzung der Künstler*in mit Klasse als sozialer Konstruktion sowie Fragen nach Klassenherkunft und -zugehörigkeit, die unmittelbar mit individuellen und zugleich kollektiven Körper(erfahrungen) verknüpft sind.
Feinfühlig, aber auch humorvoll verhandelt Dana Lorenz den Körper als fassendes, berührendes, haltendes, beißendes, kämpfendes, knirschendes, klebriges, sanftes, resilientes, waberndes Produkt von Gesellschaft, das jedoch gleichzeitig auch deren Akteur ist.
Mit den dialogisch in Beziehung tretenden Werken, deren Zentrum eine überdimensionierte medizinische Beissschiene bildet – Ausdruck tiefsitzender und resistenter Verspannungen – schafft Dana Lorenz eine Rauminstallation, die von auswuchernden Verbindungen zwischen biografischen Erinnerungen und persönlichen Bewältigungsstrategien zeugt und diese mit den Politiken und Ästhetiken der frühen 2000er Jahre und der Gegenwart verknüpft. Dana widmet sich unterschiedlichen Konsistenzen, spielt mit Doppeldeutigkeiten und kreiert damit Momente der Befreiung, des Aufbegehrens und der körperlichen Widerspenstigkeit. Sogenannte schlechte Gefühle werden umgedeutet und verdeutlichen, dass in der Verletzbarkeit unsere eigentliche Stärke zu finden ist. Die Hände mit den Füßen fassen wird somit zu einer queeren und feministischen Infrastrukturkritik des Körpers und seiner strukturellen und zeitweiligen Umgebungen.
Dana Lorenz ist eine queere transdisziplinär arbeitende Künstler*in und lebt in Berlin. 2022 war Dana künstlerisch-forschende Mitarbeiter*in im Projekt REACT — Higher Education — Nachwuchsforschung stärken an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig. 2021 hatte Dana das Stipendium INITIAL der Akademie der Künste, Berlin, inne und gewann mit der Arbeit Re-Writing Gaze den ersten Platz der altonale in Hamburg. Ausstellungsbeteiligungen u.a. The Alien Everyday im SPOILER Kunstraum, Berlin (2022); MAD TIME WARP CRIP — X QUEER ARTISTS –– Party Office b2b Fadescha, Documenta 15, Kassel (2022); Moderne Ikonografie. Fotografie, Bauhaus und die Folgen 1919 – 2019, Kunstmuseum Unser Lieben Frauen, Magdeburg (2021). Neben kollaborativen fotografischen Langzeitprojekten (Asphalt, Steine, Scherben und Trakt IV mit Sophia Kesting) leitet Dana seit 2016 die unabhängige Publikationsplattform Edizione Multicolore (gemeinsam mit Fine Bieler).
danalorenz.de
PROGRAMM
Class Trouble // Klassenkörper
Workshop mit Josephine Findeisen
17.6.2023 // 11:00-16:00 (in deutscher Lautsprache)
Die Teilnahme ist kostenlos. Es sind keine Vorkenntnisse notwendig.
Bitte anmelden bis 15.6.2023: mail@alpha-nova-kulturwerkstatt.de
In diesem Workshop-Format beschäftigen wir uns mit verschiedenen Perspektiven auf Klasse und Klassismus. Ausgangspunkt ist ein gemeinsames Lesen von zwei unterschiedlichen Texten*. Dabei machen wir Lesepausen um Gedanken zu sammeln, Verständnisfragen zu klären und um Erfahrungen auszutauschen.
Im zweiten Workshop-Block, nach einer einstündigen Mittagspause, nutzen wir Körperübungen, um verkörperte Aspekte von Klassenungleichheiten zu betrachten. Mithilfe von Körper- und Entspannungsübungen richten wir unseren Blick auf verschiedene physische Strukturen (bspw. Skelett und Muskulatur). Inwieweit ist Klasse eine körperliche Erfahrung? Wie manifestieren sich Klassenungleichheiten in Körpern?
Ziel des Workshops ist es, komplexe und manchmal auch unsichtbare Klassenstrukturen gemeinsam zu verhandeln. Für die Körperübungen und die Arbeit mit Texten im Workshop wird kein Vorwissen benötigt.
Der Workshop findet überwiegend in deutscher Lautsprache statt – Für einen der beiden Texte sind Englischkenntnisse hilfreich, jedoch keine Voraussetzung für eine Teilnahme.
*Marc Fisher, Good for nothing (in englischer Sprache); Tanja Abou, Prololesben und Arbeiter*innentöchter (in deutscher Sprache)
Josephine Findeisen (*1990, Dresden) studierte „Tanz, Kontext, Choreographie“ am HZT Berlin. Ihre choreographische Praxis untersucht sozio-ökonomische Realitäten und deren Einfluss auf bewegte Körper. Josephine beschäftigt sich mit proletarischen Perspektiven und forscht zu Verschränkungen von Klasse, Geschlecht und Körper. Zu den Themen Klasse und Klassismus entstanden seit 2016 verschiedene Recherchen, darunter „A WORK THAT DOESN‘T WORK or WE MIGHT AS WELL BE ON CRYSTAL“ und „Working Class Dance Group“. Seit Sommer 2021 organisiert sie das offene Treffen „Arbeiter:innentöchter Vereinigt Euch!“ an historischen Arbeits-Orten und Denkmälern in Berlin.
Fragen im Liegen, liegende Fragen
mit Heike Geißler & Dana Lorenz
5.7.2023 // 18:30-20:00 (in deutscher Lautsprache)
Wir fragen uns und fragen in den Raum hinein und fragen alle. Wir bedürfen der Antworten (nicht). Wir vertrauen den Antworten (noch) nicht. Wir könnten immer so weitermachen. Dana Lorenz und Heike Geißler knüpfen mit Fragen an ihren Austausch, den sie vor allem mittels Audionachrichten führten, an und erkunden so das riesige Terrain der sozialen Herkunft, die sich daraus ergebenden Verflechtungen, die Hindernisse und Möglichkeiten.
Heike Geißler ist Schriftstellerin. Sie lebt in Leipzig. Zuletzt erschienen der Essay Liegen. Eine Übung (Rohstoff/ Matthes & Seitz, 2022), der Film-Essay Das Jetzige (GfzK, 2020-2022), der Roman Die Woche (Suhrkamp, 2022), der Reportage-Roman Saisonarbeit (Spector Books, 2014), das Literaturprojekt Check your habitus, kuratiert von Daniela Dröscher, das Geld mani bucate money fest, die Ausstellung Die demokratische Schnecke. Sie ist Mitherausgeberin der Heftserie Lücken kann man lesen und Teil des Kollektivs George Bele.
heikegeissler.de
Kollagen und Elastin, dazwischen Cortisol
Ein Gespräch mit Dana Lorenz & Antkek Engel
15.7.2023 // 19:00 (in deutscher Lautsprache)
Entlang der räumlichen Installation sprechen Dana Lorenz und Antkek Engel (feministische Queer Theoretiker*in und Philosoph*in) über Ver_Körperungsprozesse und deren künstlerische Materialsierung im Hinblick auf Klassenherkunft und biografische Erfahrungen. Den Begriff der „ver_körperungen“ prägt das Institut für Queer Theory das Antkek Engel leitet und dessen Ansätze sich in einzelnen Werken und konzeptuellen Überlegungen Dana Lorenz` wiederfinden. Der nicht festgeschriebene Körper als komplexes Wissensgefäß entlang von Zeit und Raum, Affekten und Widerständen steht im Zentrum des Gesprächs.