Elianna Renner: Pitshipoy

Elianna Renner

Öffentlicher Raum, Performance

© Elianna Renner

Luftperformance

14.8.2020 // 16:00-17:00 //
Performance 16:20

im Freien

Einfahrt zum Am Flutgraben, 12435 Berlin // gegenüber vom Schlesischen Busch

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Performance von Elianna Renner im Rahmen der Ausstellung „Fragmented Narratives“

In der multimedialen Recherchearbeit Pitshipoy begibt sich die Künstlerin Elianna Renner auf die Spuren eines jiddischen Wortes. In der Beschäftigung mit Pitshipoy werden die Leerstellen von Geschichtsschreibung wie auch die engen Verknüpfungen einer transnationalen Geschichte sichtbar. Den Auftakt ihrer künstlerischen Auseinandersetzung bildet eine Luftperformance am 14.8.2020, bei der Pitshipoy am Himmel über Berlin erscheint.

Pitshipoy – ein Begriff aus der jiddischen Folklore, zu finden in Kinderliedern, in Erinnerungen an ein fiktives Schtetl oder an ein Kartenspiel, aber auch Name einer Fernsehserie, eines Fußballclubs, einer Comicreihe und eines Schiffswracks. Gemein ist seinem unterschiedlichen Gebrauch, dass er stets für etwas Unbestimmtes, für einen imaginären Ort steht. Seine größte Popularität auf engem Raum erlebte Pitshipoy während der Shoah im Sammellager Drancy in Frankreich. Das Wort beschrieb dort einen unbekannten und imaginären (Flucht-)Ort, der das Vakuum der Hoffnung bis vor die Tore von Auschwitz füllte. Es sickerte nach und nach in das kollektive Bewusstsein der Inhaftierten in Drancy ein und wurde Teil einer kollektiven Erinnerung.

In ihrer Recherche beschäftigt sich Elianna Renner mit den unterschiedlichen Geschichten, Übersetzungen und Interpretationen des Wortes. In verschiedenen künstlerischen Formaten setzt sie sich mit dem Begriff und seiner Historie auseinander, nähert sich seiner Bedeutungen und fügt ihm eine eigene Deutungsebene hinzu.

Während der Luftperformance wird Pitshipoy mit seinen unterschiedlichen Bedeutungen für einen kurzen Moment Teil der Berliner Gegenwart. Ein Moment, der sowohl Erinnerungen und Erzählungen vergegenwärtigt als auch irritiert und uns mit dem (Un-)Bekannten konfrontiert. Und wer weiß: Vielleicht wanderte Pitshipoy als Begriff auch schon durch das Berlin des ausgehenden 19. Jahrhunderts, als sich jüdische Migrant*innen aus Osteuropa, oftmals aus Angst vor Pogromen in der Heimat, in der Metropole niederließen? Der Moment der Konfrontation mit dem Begriff bringt somit nicht nur die Vielstimmigkeit von Geschichte in unseren Alltag, sondern schafft gleichzeitig Raum für eigene Interpretationen. Pitshipoy wird so abermals zu einem imaginären Ort, der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verbindet.

Die filmische Dokumentation der Luftperformance wird ab dem 25.09.2020 das Herzstück der gleichnamigen mehrteiligen installativen Arbeit in der alpha nova & galerie futura sein. Im Rahmen der Doppelausstellung „Fragmented Narratives von Sharon Paz und Elianna Renner wird Renner in Text, Film- und Audioaufnahmen fragmentarisch die Recherche zu Pitshipoy präsentieren. Sie knüpft damit an ihre früheren Arbeiten an. In oft (auto-)biografischen Zugängen stehen sowohl jüdische Geschichte und Antisemitismus und Rassismus, als auch die Konstruktion von Geschichte(n) und Erinnern im Allgemeinen im Fokus. Auch Pitshipoy verweist darauf, dass das kulturelle Gedächtnis und die offizielle Geschichtsschreibung (un)vermeidbare Lücken produzieren, die Geschichte(n) als etwas Konstruiertes sichtbar machen.

Im Anschluss an die Luftperformance am 14.8.2020 präsentiert Elianna Renner ihren neusten Katalog „Homo Mayses – Arbeiten 2012-2019“.

Die 1977 in der Schweiz geborene und in Deutschland lebende Bildende Künstlerin Elianna Renner arbeitet an der Schnittstelle von Biografie und Geschichte. In ihren Arbeiten hinterfragt sie historische Narrative und deren Auslassungen – immer mit dem Ziel, die hinter dem Vergessenen oder Verschwiegenen stehenden Machtverhältnisse sichtbar zu machen. Ein Schwerpunkt von Renners künstlerischem Schaffen ist das (auto)biografische Arbeiten. Im Mittelpunkt stehen dabei immer wieder Geschichten von Frauen, oft solche, die in den offiziellen Geschichtsschreibungen gar nicht oder nur am Rande auftauchen. Renner schafft einen ästhetisch-visuellen Zugang zur Auseinandersetzung mit oral history und Geschichte. Dabei geht es ihr darum, Geschichte(n) als Konstruktionen wahrnehmbar werden zu lassen, die sich je nach Erzähler*in neu darstellen. In ihren Arbeiten imaginiert sie, setzt neu zusammen, verknüpft Fiktives mit „Realem“ und nutzt dazu eine Vielzahl künstlerischer Medien wie Film, Fotografie, Audio, Text, Skizzen und Installation. 
Elianna Renner arbeitet seit Jahren an Projekten im internationalen Kontext wie z.B. in New York, Buenos Aires, Tel Aviv und Frankfurt. Ihre Werke wurden in zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland gezeigt. Renner ist Preisträgerin des Kunstpreis Ottersberg (2019), des Theobald Simon Preis (2012) sowie des 33. Förderpreis für Bildende Kunst 2009 der Stadt Bremen. Sie erhielt u.a. folgende Stipendien: Stipendium zur künstlerischen Weiterbildung, Deutscher Akademischer Austauschdienst (DAAD), Stiftung Zurückgeben, Filmstart 01, Projektstipendium der Nordmedia und des Filmbüro Bremen.

www.eliannarenner.com

 

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