Prekäre Kunst: Protest & Widerstand ist kuratiert von Dr. Stacie CC Graham,
Dr. Katharina Koch und Dr. Marie-Anne Kohl; Gestaltung und kuratorische Assistenz: Dorothea Nold
Die Ausstellung und Veranstaltungsreihe Prekäre Kunst: Protest & Widerstand setzt sich mit Fragen nach strukturellen und Alltagsrassismen im Berliner Kunstbetrieb auseinander. Dafür beschäftigen sie sich zentral mit Fragen von Intersektionalität, d.h. mit dem Zusammenwirken mehrerer Identitätsmerkmale (z.B. race und gender), die nicht einzeln sondern an den Schnittflächen, also Intersektionen, untersucht werden müssen. (vgl. Crenshaw 1991)
Es geht darum, diese sozialen Konstruktionen als Diskriminierungsformen in ihrer Ganzheit tatsächlich zu begreifen. Dazu greifen wir den von der US-amerikanischen feministischen Wissenschaftlerin und Aktivistin bell hooks formulierten Ansatz auf, die Strukturen Imperialismus, Patriarchat, weiße Vorherrschaft und Kapitalismus immer in ihrer Verknüpfung und Interaktion zusammenzudenken. Diesen Ansatz möchten wir als Ausgangspunkt nehmen, um den Berliner Kunstbereich als ein von weißen, nicht-migrantischen, meist männlichen Akteur_innen dominiertes Handlungsfeld einer kritischen Bestandsaufnahme und Befragung zu unterziehen.
Schwarze Künstlerinnen und Kuratorinnen sowie Künstlerinnen und Kuratorinnen of Color sind in diesem Handlungsfeld, mit wenigen Ausnahmen, weder Entscheidungsträgerinnen, noch gibt es eine gewichtige Anzahl von selbstgestalteten Räumen, in denen sie sich präsentieren können beziehungsweise sich repräsentiert fühlen. Sie erfahren diese Strukturen nicht nur als rassistisch, sondern auch als geschlechterdiskriminierend und erleben so ihr Arbeitsfeld „Kunst“ in mehrfacher Hinsicht als ausschließend und prekär.
Anhand der Frage nach Möglichkeiten der Aneignung, Unterwanderung oder dem Produzieren alternativer Kontexte soll ein Dialog über die verschiedenen Strategien entstehen, wie kulturschaffende Schwarze Frauen und Frauen of Color strukturellem Rassismus, Alltagsrassismus, Sexismus und den Erfahrungen von Marginalisierung und Nicht-Repräsentation im weißen Kunstbetrieb entgegenwirken (können). Strategien können angewandt werden, um Protest auszudrücken, sie können aber auch widerständig sein, indem z. B. eigene Strukturen/Räume geschaffen werden.
Gleichzeitig soll darüber beraten werden, inwiefern (Kunst-)Räume wirkliche Inklusion ermöglichen können und welche solidarischen Praxen dafür Voraussetzung sind. Das beinhaltet auch eine kritische Selbstbefragung und Reflexion weißer Akteur_innen des Kunstbereichs nach realen Perspektiven, „ihre“ Räume und somit ihre Privilegien zur Disposition zu stellen.
Das Projekt möchte diskriminierende Strukturen und Repräsentationspraktiken markieren, aufbrechen und langfristig verändern. Durch die rassismus- und sexismuskritische Auseinandersetzung soll eine nachhaltige Diskussion über Möglichkeiten inklusiver, solidarischer Praxen sowie die Bildung von Netzwerken und Allianzen gestärkt werden. Wir erhoffen uns nicht nur punktuellen Austausch, sondern eine fortführende Zusammenarbeit mit den Teilnehmenden zu initiieren. Es sollen nicht nur Akademiker_innen und „Expert_innen“ erreicht werden, sondern durch die Verknüpfung verschiedener künstlerischer, aktivistischer und wissenschaftlicher Formate ein vielfältig engagiertes und interessiertes Publikum.
Programm
Ausstellung THE COMPANY WE KEEP
Melody LaVerne Bettencourt, Karina Griffith, Lerato Shadi
Installation – Malerei – Video
Eröffnung: 12.09.2015 // 19:00
Artist Talk (engl. / dt.): 12.09.2015 // 20:00
Ausstellung: 13.9.-16.10.2015 // Mi-Sa // 16:00-19:00
In ihren Arbeiten beschäftigen sich die Künstlerinnen mit den Themen Rassismus und Marginalisierung Schwarzer kulturschaffender Frauen und Frauen of Color sowie mit Strategien der Selbstermächtigung.
Artist Statement
As Black women living in white spaces that are not open to us, we wanted to thematize what it would be like or look like to live in a Black-friendly world, with the understanding that pro-Black does not mean anti-white, even though historically pro-white has meant anti anybody else. As Black women, as artists, as sisters, as mothers, we are cultural producers. As such we must deal with the fact that our perspectives are neither represented nor heard. The expectation when walking into a gallery space is to find white walls, just as it is expected to walk in to spaces of power and privilege and find that those spaces are white spaces. In Germany, Europe, whiteness equals „neutral“. We are questioning that.
Wir definieren uns selbst und lassen uns nicht definieren. We locate tomorrow by becoming our own storytellers. We listen to the pain in Black knowledge. It is present in our growing consciousness. Our interconnectedness is our history and our strength. We invite the Black Atlantic to the table. Whether the Black women on the wall are famous or not is irrelevant. They reflect our complexity and our diversity. We are all of them and they are all of us.
This is the company we keep.
Melody Laverne Bettencourt, Karina Griffith, Lerato Shadi
http://melodylavernebettencourt.com/
www.karinagriffith.com/
www.lerato-shadi.net/
Film & Gespräch ERIS
16.9.2015 // 19:00
ERIS
36 min., UK 2012, engl.
Regie: Claire Hooper
„An exploration of strength, tracing the experiences of Danielle Marie Shillingford, a woman who has lost and struggles to regain custody of her children. In the film, the slippages between Danielle and her god-like alter ego Eris, the goddess of strife and discord, create a continuous blurring between the fantastical, the superhuman and the absolutely mundane.“ (Claire Hooper)
Publikumsgespräch mit der Schauspielerin Danielle Marie Shillingford (in englischer Sprache)
www.iffr.com/professionals/films/eris/
www.ica.org.uk/whats-on/performance-eris-path-er-claire-hooper
Spoken World Präsentationen
18.9.2015 // 19:00
mit Bahati, Chantel C. und Njideka
Das Genre Spoken Word hat seine Wurzeln in der mündlichen Überlieferung. Es kann sowohl Elemente von Musikrichtungen wie Rap, Hip Hop, Jazz, Rock, Blues und Folk als auch Konzepte aus den Bereichen Theater und Geschichtenerzählen beinhalten. Charakteristisch spielerisch im Rhythmus und Wortspiel sowie in der Wiederholung und Improvisation konfrontiert Spoken Word oft Themen der sozialen Gerechtigkeit, Politik und Community.
Symposium
26.9.2015 und 27.9.2015
Das Symposium ist interdisziplinär angelegt und bringt sowohl Wissenschaftlerinnen als auch Kulturschaffende, Künstlerinnen und Aktivistinnen zusammen. Dabei werden Vorträge, Podiumsdiskussionen und Filmvorstellungen angeboten, die sich mit Themen des strukturellen sowie des Alltagsrassismus im Kunstbetrieb auseinandersetzen. Ziel ist es, Strategien und solidarische Praxen auszuloten, um rassistischen Strukturen entgegenzuwirken.
26.9.2015 // 10:00-18:00
Wann Protest, wann Widerstand?
Protest und Widerstand stehen beide am Anfang sozialer Veränderungen. Dabei findet Protest innerhalb, Widerstand außerhalb der bestehenden hegemonialen Strukturen statt. Wann und unter welchen Bedingungen erscheint die eine, wann die andere Strategie sinnvoll und wirksam?
10:00 Begrüßung / Einleitung
Dr. Stacie CC Graham, Katharina Koch, Anne Kohl (Kuratorinnen)
10:30 Race, Precarity And Artistic Labour In Berlin
Dr. Onur Suzan Nobrega (Medien- und Kulturwissenschaftlerin)
12:15 Being is one thing… – Protest und Widerstand
Sandrine Micossé-Aikins (Kunstwissenschaftlerin, Kuratorin, Aktivistin)
14:40 Film / Diskussion: Die Umzüge (07 min., D 2013)
Karina Griffith (Künstlerin)
The film is a non-verbal exploration of the filmmaker’s reaction to witnessing blackfacing in Germany: one of confusion, fear, anger and compassion.
http://www.karinagriffith.com/#die-umzuge-crude-processions
15:15 Performanz analysieren im karibischen Raum
Dr. Dr. Daniele Daude (Theater- und Musikwissenschaftlerin, Violinistin, Aktivistin)
17:00 Podiumsdiskussion: Wann Protest, wann Widerstand? mit Dr. Dr. Daniele Daude, Sandrine Micossé-Aikins, Dr. Onur Suzan Nobrega
Moderatorin: Rena Onat (Kunst- und Medienwissenschaftlerin, Gender Studies)
27.9.2015 // 13:00-19:30
Die Illusion der Post-Gender und Post-Racial Gesellschaft
Ist es möglich nur noch über Dynamiken, Prozesse und Strukturen zu sprechen, ohne auf die spezifischen Parameter der einzelnen Identifikationsmerkmale einzugehen? Mit dem Fokus auf Intersektionalität soll das Ineinanderwirken dieser Strukturen befragt werden. Dabei stehen u.a. Berliner Kunsträume, insbesondere so genannte off spaces, die sich häufig als aktivistisch verstehen, sowie deren Strukturen und Repräsentationspraktiken zur Diskussion.
13:00 Begrüßung und Zusammenfassung des 1. Tages
13:15 Weiße Räume öffnen?! Von Repräsentationskritik zu Selbstrepräsentation – Möglichkeiten und Grenzen. Praxiserfahrungen einer Kuratorin of Color
Iris Rajanayagam (Kuratorin, Wissenschaftlerin)
15:00 I am a white academic feminist artist. I’ve got no reason to cry
Julia Lemmle (Coach, Performerin, Aktivistin)
16:30 Film / Diskussion: PAST PRESENT TENSE (32 min., D 2014-15, dt. mit engl. UT)
Christa Joo Hyun D’Angelo (Künstlerin)
The video essay examines the idea of German nationality and it’s racial borders within German society.
www.christajdangelo.com
Publikumsdiskussion (engl.)
18:00 Abschlussdiskussion mit Bettencourt, D‘Angelo, Dr. Daude, Griffith, Lemmle, Micossé-Aikins, Dr. Nobrega, Rajanayagam, Shadi. (dt./engl.)
Moderatorinnen: Kuratorinnenteam (Dr. Stacie CC Graham, Anne Kohl, Katharina Koch)
Konzert
27.9.2015 // 20:00
mit 3 women
Jeannine Mayani, Gonza Ngoumou, Bona Ngoumou